REAL

Kép és képnélküliség a Kárpát-medencében a 6–10. században

Bollók, Ádám (2013) Kép és képnélküliség a Kárpát-medencében a 6–10. században. Archaeologiai Értesítő, 138 (1). pp. 213-237. ISSN 0003-8032

[img] Text
archert.138.2013.8.pdf
Restricted to Repository staff only until 31 December 2033.

Download (1MB)

Abstract

The study analyses a peculiar feature of the archaeological material known from the 6th-10th-century Carpathian Basin, i.e. the mostly aniconic nature of the visual arts during the Avar and Hungarian Conquest periods. The author attempts to explain the generally rare appearance of human depictions and anthropomorphic ornaments. Thus he seeks to investigate the main reasons for employing visual ornaments and proposes some probable reasons that may lie in the background of the increase of human depictions in the Late Avar period. | A tanulmány röviden vizsgálja a Kárpát-medence 6–10. századi (avar kori és 10. századi) leletanyagának egyik sajátos jellegzetességét: az egykori díszítőművészetek nagyrészt kép nélküli (anikonikus) voltát, és igyekszik magyarázatot keresni az emberalakok korszakonként változó gyakoriságú, összességében mégis feltűnően ritka megjelenésére. Áttekinti az ornamentika alkalmazásának általános okait, valamint kitér a késő avar kori képi ábrázolások megszaporodása mögött meghúzódó lehetséges okokra. | Vorliegende Studie unternimmt den Versuch, eine Eigenart der Verzierungskunst im frühmittelalterlichen Karpatenbecken, nämlich das erhebliche Übergewicht der pflanzlichen und geometrischen Zierelemente bzw. die in den verschiedenen Epochen in unterschiedlichem Maße nachweislich untergeordnete oder sogar marginale Rolle der Menschen- und Tierdarstellungen, zu untersuchen. Das in den europäischen Sprachen in verschiedenen Formen verbreitete Wort „Ikon” stammt vom griechischen eikōn (είκών) ‘Bild’; aber neben diesen allgemeinen Bedeutungsgehalt trat bereits in der christlichen Spätantike ein Weiterer: das im Kultkontext auftauchende, also das Bild als Heiligenbild. Diese Doppelheit manifestierte sich auch im Wortgebrauch der modernen Wissenschaft: Von Ikonen spricht man auch heute vor allem im Rahmen des Diskurses über das christliche Kultbild, andererseits zeigen das Attribut ikonisch oder die Begriffe Ikonografie und Ikonologie klar, dass das Wort auch in viel allgemeinerem Sinne gebraucht wird und in jeder Abhandlung über das Bild, das Abbild, d. h. jede Schöpfung mit dem Anspruch auf figurale Repräsentation/Darstellung, verwendet wird. In diesem Sinne können anikonisch jene Werke bzw. Gruppen von Werken (und somit die ausschließlich oder fast ausschließlich derartiges schaffenden Künste) genannt werden, bei denen die ikonische, d. h. die figurale, Darstellung mit einem über die Kunst hinausweisenden Referenzpunkt fehlt oder eine außerordentlich untergeordnete Rolle erhält.Auf die aus dem archäologischen Fundmaterial der Awaren- und der ungarischen Landnahmezeit im Karpatenbecken bekannt gewordene Sachkultur scheint die oben skizzenhaft umrissene Definition — wenn auch mit mehreren Einschränkungen — zuzutreffen. Diese Tendenz wird für den Forscher im Fundmaterial des 10. Jahrhunderts besonders anschaulich, da aus dieser Epoche — die offensichtlichen Importfundstücke fremder Herkunft (z. B. die verschiedenen Brustkreuze oder byzantinischen Münzen) nicht mitgerechnet — insgesamt nur drei mit Sicherheit als Träger einer Menschengestalt identifizierbare Gegenstände bekannt sind. Demgegenüber haben im Karpatenbecken im 6.–10. Jahrhundert die einstigen Handwerker die große Mehrheit der Gegenstandsensembles mit geometrischen, floralgeometrischen und pflanzlichen Motiven geschmückt. Das Auftauchen von Menschengestalten bei den Motiven der frühawarenzeitlichen Verzierungskunst gilt auch nicht als besonders bedeutsam, und sie kennen wir häufig von Gegenständen, die mit der germanischen Welt oder dem spätantiken Mediterraneum in Beziehung zu bringen sind bzw. ihren Einfluss zeigen. In spätawarischer Zeit hat sich die Zahl der Menschendarstellungen zwar etwas erhöht, aber kann auch dann nicht als allgemein gelten. Dennoch weist die bildliche Welt der Gürtelzier von Kiskundorozsma bzw. der Krüge Nr. 2 und 7 im Schatz von Nagyszentmiklós darauf hin, dass wir Zeugen kraftvoller Veränderungen in spätawarischer Zeit sein können. Erstere, die aller Gewissheit nach als byzantinisches Geschenk ins Karpatenbecken kam, hob auch den triumphierenden basileios in das Argumentationssystem des Diskurses über das awarisch-byzantinische Verhältnis — und zwar soweit dies bloß in Kenntnis der Ideologie der byzantinischen Diplomatie bzw. des Sachmaterials festgestellt werden kann, bedeutete diese visuelle Stellungnahme in den Augen der Byzantiner den Ausdruck des Unterworfenenstatus der Awaren. Anders war sicherlich die Interpretation der das Geschenk annehmenden awarischen Vornehmen bzw. der awarischen Elite. Ein Hinweis darauf mag sein, dass der Bildtyp des siegreichen Kaisers in der Spätawarenzeit Aufnahme in das Repertoire der figuralen Ornamentik der gegossenen Gürtelbeschläge fand. In diesen Fällen ist das Kaiserabbild aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als Träger der Bedeutung auf dem Beschlag von Kiskundorozsma zu interpretieren, sondern als Schmuckelement, das aus dem Formenschatz der von der awarischen Elite gepflegten Sachkultur in den Kreis des „Gemeinvolkes” „hinabgesickert” war und dessen Hauptfunktion gewesen sein mag, die Beziehungen des Trägers zur Elite hin zu zeigen.Ebenfalls besonderes Interesse verdienen die figuralen Darstellungen auf den Gefäßen des Schatzes von Nagyszentmiklós, vor allem die Medaillons auf dem Krug Nr. 2. Drei der dortigen Medaillons sind im Mediterraneum und in der iranischen Welt gleichermaßen wohl bekannt, der Goldschmied hat als Ausdruck der Herrschermacht verwendete Bildtypen wiedergegeben: den jagenden Fürsten, den siegreichen Herrscher und eine dynamische Tierkampfszene. Die individuell gestalteten Gesichter gaben jedoch dem die oben erwähnten visualen Topoi verwendenden, sorgsam geplanten Programm eine den lokalen Verhältnissen des Karpatenbeckens entsprechende Interpretation: Die turaniden Charakterzüge des Kopfes des siegreichen Herrschers und des „Pferdes” des jagenden Fürsten, die slawischen des Kopfes des besiegten Feindes in der Hand des siegreichen Fürsten sowie die germanischen des Kopfes am Sattelknopf vom Reitpferd des Fürsten bieten dem Betrachter mit aller Gewissheit die Auffassung der spätawarischen Elite von sich selbst bzw. von der sie umgebenden Welt mit ihren Völkern.Solche Verwendung echter Bilder beleuchtet auch ein Charakteristikum, das die spätawarische Kultur sowohl von der frühawarischen als auch der des 10. Jahrhunderts unterscheidet. Während nämlich in der früheren und der späteren Periode sowohl die frühawarenzeitlichen Völker im Karpatenbecken als auch die der ungarischen Landnahmezeit vor allem die Formträger der Herrschaftssymbole mediterraner Herkunft (edle Textilien fremder Herkunft, Gürtel usw.) verwendeten und entsprechend ihrer eigenen gesellschaftlichen Ansprüche uminterpretierten (Adoption), erscheint in spätawarischer Zeit auch die verständige Verwendung der Bildtypen mediterraner Herkunft (Phänomen der Adoptation). Wie bei der Untersuchung der Bilder auf dem Krug Nr. 2 von Nagyszentmiklós gezeigt werden konnte, war die Elite in spätawarischer Zeit offensichtlich fähig geworden, die Bildtypen fremder Herkunft zu verstehen und verfeinert zu verwenden, ihr Selbstbild mit Hilfe dieser bildhaften Welt zum Ausdruck zu bringen.Auf den meisten Gegenständen aus der Awarenzeit und dem 10. Jahrhundert findet sich jedoch keine Spur der Verwendung dieser Bildersprache. Sowohl in den Jahrhunderten der Awarenzeit als auch in der ungarischen Landnahmezeit schufen die Handwerker vor allem Gegenstände mit geometrischer und pflanzlicher Ornamentik (zumindest werden überwiegend diese bei archäologischen Ausgrabungen gefunden). Der andere, längere Teil der Studie überblickt deshalb einige Fragen des Gebrauchs der nonfigurativen Ornamentik. Die primäre Funktion der Ornamentik bzw. der einzelnen pflanzlichen und geometrischen Ornamente wertet der Autor — ebenso wie A. Riegl, E. Gombrich, O. Grabar und andere — vor allem als Äußerung der Verzierungsabsicht. In diesem Sinne sind die Hauptaufgaben des Ornaments das Aufbrechen der Monotonie der ebenen Flächen (d. h. ihre Ausfüllung); dem Trägergegenstand Qualität zu verleihen; ihn zu verschönern und damit dem Betrachter Freude zu bereiten; aber es kann auch die Umrahmungsund Verbindungsfunktion erfüllen. Andererseits sind seine unmittelbare Kommunikationsfunktion und damit seine Deutung sehr bestreitbar.Im Falle der bildlosen oder großenteils bildlosen Künste kann deshalb vor allem von Verzierungsabsicht gesprochen werden, und so können die anikonischen Künste mit Recht zu den Zierkünsten gezählt werden. Das bezeugen im Rahmen der Studie sehr skizzenhaft auch die überblickten antiken und frühmittelalterlichen anikonischen Künste. Der Argumentation des Autors gemäß kann der kurze Überblick der Argumente der sich der Kultbilder enthaltenden jüdischen und muslimischen sowie der allbekannte Diskussionen über die Rolle der Kultbilder führenden christlichen Künste den Leser davon überzeugen, dass in allen drei Fällen in erster Linie von religiösem Anachronismus gesprochen werden kann, der jedoch nur selten über den Rahmen der religiösen Künste hinausging und Einfluss auf die profanen Künste ausübte. Da aber im Karpatenbecken in der untersuchten Periode vor allem von Werken gesprochen werden kann, die aus profaner Umgebung stammen, weist nichts darauf hin, daß der zurückhaltende Standpunkt der (Kult-)Bilder etwa der muslimischen oder auch der christlichen Welt unmittelbaren Einfluss auf die Völker des Karpatenbeckens ausgeübt hätten (wie mehrere annahmen). Demgegenüber kann vielleicht insofern an mittelbare Einflüsse gedacht werden, als infolge der Bezeichnung des Ortes der echten Bilder im Kultrahmen sowohl in der mediterranen Welt als auch in der westlichen christlichen Kultur auf den Elementen der Alltagstracht die Anwendung bildloser Zierformen (d. h. pflanzliche und geometrische Ornamente) noch mehr in den Vordergrund gerückt sind.

Item Type: Article
Subjects: C Auxiliary Sciences of History / történeti segédtudományok > CC Archaeology / régészet
Depositing User: xKatalin xBarta
Date Deposited: 15 Dec 2016 10:09
Last Modified: 16 Dec 2016 09:53
URI: http://real.mtak.hu/id/eprint/43394

Actions (login required)

Edit Item Edit Item