Biel, Robert (2012) Die Seelsorge in Polen vor und nach der Wende. EUROPEAN JOURNAL OF MENTAL HEALTH, 7 (2). pp. 184-203. ISSN 1788-7119
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Abstract
Die Seelsorge gehört zu jenen pastoraltheologischen Grundbegriffen, die sich einer langen Ge- schichte und einer andauernden Akzeptanz erfreuen. Sie gehört neben Caritas und Verkündigung zu den Wesensaufgaben der Kirche. Die Seelsorge gewann besonders zur Zeit der totalitären Un- terdrückung der Kirche an Gewicht. So war es auch in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg. Die kommunistischen Behörden waren der Kirche gegenüber feindlich eingestellt. Aus diesem Grund wurde sowohl die Tätigkeit der Kirche in Polen als auch die Seelsorge von der Machtübernahme durch die Kommunisten stark beeinträchtigt. Infolgedessen war die Kirche im kommunistischen Polen gedrängt, sich mit ihrer Seelsorge sozusagen „in die Sakristei“ zurückzuziehen. Die Ein- engung des kirchlichen Lebens auf die „Sakristeikirche“, die von den Kommunisten als einzige „Befriedigung der religiösen Bedürfnisse“ der gläubigen Bürger geduldet wurde, führte vielerorts zu einem minimalistischen Verständnis von Seelsorge. Die Seelsorge im Schatten des Kommu- nismus, besonders die Militär- und Gefängnisseelsorge, musste vielen Schwierigkeiten trotzen. Dies zwang die Kirche, neue Formen der pastoralen Arbeit im totalitären System zu entwickeln. Die wieder gewonnene Freiheit stellt die Kirche vor neue Herausforderungen, die nicht einfach zu bewältigen sind. Die heutige Zeit zwingt also die Kirche in Polen zu einem gewissen Paradig- mawechsel und zum Übergang von der im Kommunismus existierenden „Ecclesia militans“ zur auf dem Boden der freien Gesellschaft lebenden „Ecclesia serviens“. Die Kirche muss also ihre Sendung neu überdenken und eine Art von „aggiornamento“ vollziehen. Die neue Lage zwingt die Kirche zum Wandel der kirchlichen Pastoral. Dieser Wandel und die Pastoral in den postkommu- nistischen Gesellschaften ist treffend als „Nachfolge Christi – postsozialistisch“ zu bezeichnen. Die Lage der Kirche in Polen nach der Wende setzt also den kirchlichen Erneuerungsprozess voraus, den Johannes Paul II. als Neu-Evangelisierung bezeichnet. So ist die Kirche angesichts der veränderten gesellschaftlichen Ordnung zu einem neuen Stil der pastoralen Arbeit herausge- fordert. Damit die Seelsorge nicht zum Steinbruch wird, in dem nur viele private Pastoralkonzepte entstehen, muss sie aufs Engste mit der Theologie verbunden sein. Die Hinwendung der Pastoral zu modernen Human- und Sozialwissenschaften und der kritische Dialog mit ihnen ist somit ein Merkmal einer verantwortlichen seelsorgerischen Arbeit der Kirche. Gerade in der Pastoraltheo- logie Polens besteht diesbezüglich großer Nachholbedarf. Der atheistische Staat blockierte alle Versuche der Kirche, für Laien theologische Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Kirche im kommunistischen Polen durfte nur über eine katholische Universität (KUL) verfügen – es war gleichzeitig die einzige katholische Universität im ganzen Ostblock. Inzwischen hat sich die theologische Landschaft verändert. Nach der Wende konnte die Kirche die Gunst der Stunde nut- zen und bessere theologische Bildungsmöglichkeiten auch für Laien schaffen. Es ist der Kirche gelungen, eine Universität in Warschau (UKSW) zu übernehmen und etliche staatlich anerkannte theologische Fakultäten zu gründen. Eine Schwachstelle der heutigen polnischen Theologie bil- det sicherlich das wissenschaftliche Personal, das zu 90% aus Geistlichen besteht, die oft auch in der Seelsorge tätig sind. Die Professoren sind zwar in der Lage, die bestehenden Fakultäten und Institute zu betreuen, sie sind aber meistens gleichzeitig an mehreren Einrichtungen tätig. Jetzt ist auch in Polen interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Theologie möglich, deshalb werden den Studierenden neue Studienrichtungen angeboten, wie z.B. Ethik, Journalistik, gesellschaftliche Kommunikation und Familienwissenschaften. An polnischen kirchlichen Universitäten studieren heute schätzungsweise 16.000 Theologiestudenten, sowohl Priesteramtskandidaten als auch Lai- entheologen. Dies scheint enorm wichtig für die Zukunft der Kirche in Polen zu sein.
Item Type: | Article |
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Uncontrolled Keywords: | Polen, Seelsorge, Kommunismus, Geschichte, Rückblick, Wendezeit, Theologie, Universitäten |
Subjects: | B Philosophy. Psychology. Religion / filozófia, pszichológia, vallás > BV Practical Theology / gyakorlati teológia |
Depositing User: | Beáta Bavalicsné Kerekes |
Date Deposited: | 10 Oct 2023 07:38 |
Last Modified: | 10 Oct 2023 07:38 |
URI: | http://real.mtak.hu/id/eprint/176351 |
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